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Starke Kinder und gleichzeitig weniger Wutausbrüche – wie soll das denn bitte gehen?

von Racha Fajjari
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Du möchtest dein Kind respektvoll begleiten, aber wie geht das, wenn es sich immer wieder verweigert, weder aufräumen noch die Regenhose anziehen und geschweige denn ins Bett gehen will?! Ich möchte mit euch das Thema Autonomie oder “starken Willen” versus Kooperation beleuchten und euch nützliche Tipps mit auf den Weg geben. Wie können wir unsere Kinder in ihrem eigenständigen Wesen achten und respektieren, ohne dass sie uns im Griff haben?

Geschrieben von Kirsten Timmer, Gründerin von Transpartents – Sie ist Psychologin, Psychotherapeutin und Elternberaterin und NARM-Therapeutin, dem Neuro-Affektiven Beziehungsmodell nach Dr. Laurence Heller. Sie liebt die transformierende Arbeit mit Eltern und Fachkräften sehr, lehrt in zahlreichen Trainings, Kursen oder spricht auf Kongressen. Sie hat an der Universität in Zürich/Bern Psychologie studiert, sich eingehend mit der Bindungsforschung auseinandergesetzt und danach eine Ausbildung zur humanistischen Psychotherapeutin nach C.R. Rogers durchlaufen. 2005 gründete Kirsten Timmer die „Arco Schule„, ein Ort für natürliches, selbstbestimmtes Lernen. Seit 2007 ist sie Senior Student von Thomas Hübl, einem zeitgemäßen spirituellen Lehrer und Mystiker. Die Social Entrepreneurin ist glückliche Mutter eines heute erwachsenen Sohnes.


„Ich möchte mit TransParents und all den vielen Menschen, die diesem Ruf folgen, eine grössere Bewegung in die Welt bringen. Es sollen sich viele anschliessen und sich wieder erinnern, für was sie angetreten sind. Wir wollen füreinander da sein, mutig das Leben in die Hand nehmen und unsere co-kreative Gestaltungskraft aktivieren auf der Erde. Wir wissen, dass die Transformation für ein seelisch emotional gesundes Leben unserer Kinder in uns beginnt.“

– Kirsten Timmer


Elternsein als Weg

Elternsein bringt so manche Herausforderungen mit sich. Als Mutter habe ich mich selbst vor 25 Jahren auf diesen Weg gemacht und durfte eine magische Reise erleben, die mich an so manche Grenzen gebracht hat – die mich aber vor allem unheimlich hat wachsen lassen. Die grössten Grenzen habe ich dort erlebt, als ich auf meine eigenen, inneren Begrenzungen gestossen bin.

Diese faszinierende und herausfordernde Reise wurde Teil meiner Berufung. In der Zwischenzeit haben ich und mein Team bei TransParents schon über tausend Eltern und Fachkräfte genau auf diesem Weg begleitet.

Dabei bin ich selbst immer wieder unheimlich berührt über alles, was das Elternsein mit sich bringt. Einfach ist es nicht… Und zu fühlen, wie wir die Generation von morgen prägen, macht mich ehrfürchtig. Gleichzeitig aktiviert dieser Gedanken in mir immer so viel Freude und Motivation, denn ich brenne dafür, Eltern und alle, die sich gerufen fühlen, zusammenzubringen und uns gemeinsam auf den Weg zu machen.

Heute möchte ich über ein aus meiner Sicht super wesentliches Thema schreiben und euch hilfreiche Informationen mit an die Hand geben.

Wie dein Alltag leichter wird – weniger Wutausbrüche

Kinder haben zwei Grundbedürfnisse, die wie Tanks immer wieder über den Tag verteilt gefüllt werden wollen. Das braucht auch gar nicht lange zu sein, manchmal einen kurzen Moment, ein Satz, 10 Minuten Zeit. Geht dies in der Hektik des Alltags unter, machen uns die Kinder auf nicht immer sehr angenehme Art und Weise darauf aufmerksam, dass die Füllanzeige ins Minus gerutscht ist, indem sie uns beispielsweise ärgern, bei kleinen Neins ausflippen oder immer in den Widerstand gehen.

Lasst uns die beiden Grundbedürfnisse oder Tanks ein bisschen näher beleuchten:

Aufmerksamkeits-Tank

  • gesehen werden
  • wertgeschätzt werden
  • echtes Interesse erfahren

Autonomie-Tank

  • Selbstwirksamkeit
  • Macht und Power
  • Eigenständigkeit
  • Wille

Wie kannst du nun diese Tanks ganz konkret füllen, bevor Dich der Unmut deiner Kinder einholt?

5 Tipps, wie du den Aufmerksamkeits-Tank füllen kannst

  1. Setze dich unaufgefordert zu deinem Kind hin und schau ihm zu oder interessiere dich für das, was es gerade am tun ist. Sei dabei achtsam, als würdest du als Gast gerade die Erlaubnis bekommen, in einen heiligen Garten einzutreten.
  2. Wertschätze dein Kind, wenn es fürs Wohl des Ganzen beiträgt, z.B. „Danke, liebe Maja, dass du eben so lange Geduld hattest, als ich mich um deine Schwester kümmern musste.”
  3. Lade dein Kind ein, mit dir ein Buch anzuschauen oder nach dem Essen sich zu dir zu setzen.
  4. Überrasche es mit etwas, was es besonders mag, z.B. leihe aus der Ludotheke ein paar Playmobil Pferdchen aus und stelle sie an einem schönen Ort hin, wenn du beobachtet hast, wie sehr es diese liebt.
  5. Schenke euch Momente ohne Agenda, einfach nur zur gemeinsamen Freude, zum Spass haben, lachen, einander in die Augen schauen, kuscheln, Witze machen, balgen.

6 Tipps, wie du den Autonomie-Tank füllen kannst

  1. Wertschätze, wenn dein Kind eine gute Entscheidung fällt.
  2. Frage interessiert nach, wie es auf diese gute Idee oder Lösung gekommen ist.
  3. Gib ihm so viel Autonomie und Entscheidungsfreiheit wie seinem Alter entsprechend nur möglich ist.
  4. Frage nach: “Wie kann ich dir helfen?” “Wie möchtest du dieses Projekt angehen?” “Was ist dir wichtig?” oder “Was willst du?”
  5. Wenn es etwas will, was du dir nicht vorstellen kannst, dass es sich umsetzen lässt oder du die Idee nicht möchtest, nimm dir zuerst einen Moment Zeit, die Kraft seines Willens zu fühlen und seinen Wunsch zu ehren und zu sehen.
  6. Wenn es Mut hat, was Großes zu tun, du jedoch noch in Sorge bist, ob es klappt, geh zuerst mit seinen Ideen mit.

Eine schöne Landkarte für uns Eltern

Wenn dein Kind etwas möchte, wenn es sich herausfordernd verhält oder wenn es nicht kooperiert →Frage dich einen Moment, welcher Tank könnte gerade leer sein? Wir dürfen neugierig sein als Eltern!

“Doch wenn mein Kind seine Zähne nicht putzt, was soll ich dann tun?”

“Soll ich jetzt nicht seinen Willen, seine Eigenständigkeit ehren?”

“Ich möchte mein Kind doch nicht dominieren!?”

“Es begreift einfach nicht, dass es diese Hose anziehen soll, auch wenn ich es ihm immer wieder erkläre…!”

Kinder brauchen unsere fürsorgliche Führung

Auch wenn wir im Innersten davon überzeugt sind, dass wir eigentlich unsere Kinder nicht dominieren wollen, ist es doch so bereichernd und erhellend zu verstehen, dass Kinder nichts lieber möchten, als zu fühlen, dass wir da sind und dass wir uns kümmern – dass wir als Eltern also in der fürsorglichen Führung sind.

Fürsorgliche Führung bedeutet:

  • Kinder kommen mit dem inneren Programm auf die Welt, dass sie uns folgen wollen. Je mehr Freundlichkeit, Unterstützung und Wärme sie von uns erfahren, umso lieber folgen sie uns.
  • Wir sind diejenigen, die die Kinder in das Leben hier auf Erden einführen – wir vermitteln wie Reisebegleiter, wie man sich anderen Menschen gegenüber verhält, wie man sich z.B. an einer Strasse verhält oder dass alle Sachen wieder aufgeräumt werden → diese Prozesse zu lernen braucht Zeit – dazu kommen wir noch!
  • Spüren die Kinder, dass wir in der fürsorglichen Führung sind, können sie sich entspannen: “Ich muss mich nicht selbst um alles kümmern, meine Mama, mein Papa sind mein Leuchtturm.”

Übernehmen wir diese Rolle nicht – vielleicht aus Sorge, Kinder könnten sich übergangen fühlen oder weil es uns stresst, wenn sie frustriert sind über allfällige Einschränkungen – dann übernehmen die Kinder diese Führungsrolle selbst.

Stärke deine Kinder – passen deine fürsorgliche Führungsrolle an das Alter deine Kinder an

Je nach Entwicklungsalter unserer Kinder, gestaltet sich unsere fürsorgliche Führungsrolle natürlich anders. Kinder unter 7 brauchen uns vielmehr als Leuchtturm, der ihnen Orientierung gibt, damit sie sich geborgen und aufgehoben fühlen. Wir stellen zudem sicher, ihren Autonomie-Tank täglich in kleinen Momenten zu füllen. Wir schenken ihnen so viel Autonomie und Selbstwirksamkeit, wie es ihrem Alter entsprechend möglich ist. Wenn wir dies tun, dann fühlen sie so viel Freude und Power in sich, dass sie uns gerne an anderen Stellen folgen und bereitwillig kooperieren.

Ältere Kinder zwischen 7 – 12 Jahren möchten mitdiskutieren und  mitentscheiden. Auch wenn es für sie immer noch sehr entspannend ist, dass wir für sie der Leuchtturm sind, brauchen sie mit zunehmendem Alter viele Gelegenheiten, eigenständige Erfahrungen machen zu dürfen. Dabei schätzen sie es sehr, wenn sie in ihrer Würde ernst genommen werden.

Wenn sie schlechte Entscheidungen fällen, geben wir den Kindern die Möglichkeit, die Konsequenzen davon zu fühlen.

  • Wir versuchen dabei auf ihrer Seite zu stehen und bedauern z.B. dass es beispielsweise blöd ist, dass nun alles Feriengeld schon ausgegeben ist.
  • Wir räumen ihnen aber nicht alles aus dem Weg- außer sie haben sich einfach zu viel vorgenommen und brauchen nun unser Backup.

Jugendliche möchten selbst zum König und zur Königin ihres Lebens werden. Ihr Autonomie Tank möchte zu 100% in ihren Händen liegen.

  • Wir fragen, ob wir ihnen einen Rat geben dürfen.
  • Wir bringen uns ein, wenn wir uns Sorgen machen und sprechen in der Ich-Form, wie es uns mit ihren Entscheidungen geht.
  • Wir interessieren uns für ihr Leben und nehmen uns immer noch genug Zeit für sie, auch wenn sie schon so autonom unterwegs sind.
  • Wir lassen sie nicht alleine mit den teilweise sehr großen Herausforderungen, die das Leben junger Menschen mit sich bringt. Wir stehen hinter ihnen, sie können sich auf uns verlassen.

Nimm das Nein nicht persönlich – Dein Kind entdeckt “einfach” seine Power

Spüre die Power und Kraft, die dein Kind hat, wenn es sich weigert. Es sagt “einfach” nur nein, es ist nicht gegen dich gemeint. Es hat seine Eigenständigkeit entdeckt und freut sich, anders zu sein als du es bist.

Vielleicht gelingt es dir einmal, einfach nur Freude an dieser Power und Lebendigkeit deines Kindes zu haben? Bevor du reagierst?

Natürlich kannst du nicht zustimmen, dass dein Kind sein Geschwisterchen schlägt oder ihm sein Spielzeug wegnimmt,  denn es braucht tatsächlich an vielen Stellen deine Lenkung. Vergiss nicht, du bist, wie oben beschrieben, sehr gefragt in deiner fürsorglichen Führungsrolle, damit auch dein Kind sich immer wieder entspannen kann. Die kannst du viel besser einnehmen und die kannst du viel besser “sein”, wenn du dich an der Kraft deines Kindes freust und dieser zuerst einmal einfach Raum gibst.

Wie setzt du das konkret um? Schau dir die folgenden 11 Tipps an!

11 Tipps, wenn dein Kind “Nein!” sagt

  1. Gib euch Zeit → das Kind darf lernen, es muss nicht sofort klappen! Gerade jüngere Kinder oder Kinder, die älter sind und Kooperation am Lernen sind, brauchen einfach zu Beginn ganz viel Zeit – bleib einfach innerlich klar. Das entspannt euch beide.
  2. Sage dir innerlich “Mein Kind ist ein ganz anderes, eigenständiges Wesen”, es darf so reagieren, wie es möchte! → Indem du dir das sagst, bekommst du möglicherweise mehr Distanz zu seiner Reaktion und nimmst sein Verhalten möglicherweise weniger persönlich.
  3. Du hast nichts falsch gemacht, dein Kind sagt “einfach” nur Nein!
  4. Bevor du Nein sagst, nimm dir einen kurzen Moment Zeit, Verbindung aufzunehmen. Das ist der Schlüssel schlechthin. Sag ihm etwas nettes. Und dann, wenn ihr nahe seid, schau ihm in die Augen und sage ihm Nein.
  5. Sage Nein, aber lass es fühlen, dass du ein Ja zu ihm hast.
  6. Wenn dein Kind mit Widerstand, Wut, Auslachen, Wegrennen etc. reagiert → Ehre die Eigenständigkeit und Autonomie des Kindes, indem du zuerst “einfach” seine Reaktion respektierst. Das ist einfach gerade nur seine Art, darauf zu reagieren.
  7. Nimm dir einen Moment Zeit, so dass dein Kind spürt, dass seine Reaktion bei dir angekommen ist und dass es sicher ist, dass du es gehört und gesehen hast. “Ah, du möchtest die Zähne nicht putzen…”. Dies kann auch ohne Worte sein, es geht mehr darum, dass dein Kind wirklich fühlt, dass du es hörst. Dabei stimmst du nicht seinem Verhalten zu.
  8. Kinder sind lebendige Wesen, die wir nicht kontrollieren können. Wenn sie wegrennen oder uns ignorieren, atme aus, atme ein, hol dir einen Schluck zu trinken und gib euch beiden Zeit. Wenn du wieder ruhiger bist, stehe auf und setze dich freundlich zu deinem Kind hin.
  9. Wenn es weg gerannt ist oder dich ignoriert hat, zeige ihm, dass du es immer noch magst. Schau, dass zwischen euch wieder mehr Verbindung entsteht. Nimm dir Zeit, bis dein Kind dich wieder anschaut. Augenkontakt ist wichtig!
  10. Schenke ihm dann ein weiteres, klares Nein, aber ein innerliches Ja. Wenn es fühlt, dass du auf seiner Seite stehst, kann es kooperieren.
  11. Bleibe seinen Leuchtturm. Nimm dir Zeit, aber behalte innerlich die Klarheit, dass ihr beispielsweise abends die Zähne putzt oder mit dem Essen nicht gespielt wird.

Was davon inspiriert dich? Wenn dich etwas inspiriert, nimm das gerne mit in die nächste Begegnung mit deinen Kindern und werde selbst zum neugierigen Forscher, zur neugierigen Forscherin. Denn wir sind alle auf einer Reise und dürfen ständig weiter lernen.

Hier sende ich Dir noch einen Link auf ein kostenloses Webinar zu diesem Thema “Frustration mit Kindern begleiten”, in welchem wir auch in Rollenspielen zeigen, wie das funktionieren kann.

Auch unser bewährtes Online Training „Beziehungsfähigkeit mit Kindern stärken“ zeigt Dir Wege auf, wie Du mit herausfordernden Situation mit Babies, Kindern und Jugendlichen umgehen kannst.

Viel Freude auf deiner magischen – und ja manchmal sehr herausfordernden – Reise.

In Liebe

Kirsten

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