Stillen ist für viele werdende Mütter eine Herzensangelegenheit, kann aber auch als belastend und als Einschränkung empfunden werden. Ungleich schwieriger wird die Sache beim Stillen von Frühchen. Was zu beachten ist, damit das gelingt, weiss Tatjana Dobberstein, Hebamme und Stillberaterin von Medela Schweiz.
„Muttermilch – der beste Powerdrink der Welt“ – unter diesem Motto startet die diesjährige Stillkampagne von der Agentur 2C Communication in enger Zusammenarbeit mit Medela, dem Spezialisten für Stillen und Abpumpen. Und es ist tatsächlich so: Muttermilch ist voller wichtiger Nährstoffe für Säuglinge und gleicht einem Gesundheitscocktail aus über 1000 wichtigen Substanzen. Dieser hilft zum Beispiel, dass bei Stillkindern seltener Infektionen oder Entzündungen auftreten. Und auch Mütter profitieren, wenn sie ihren Powerdrink verabreichen: Studien haben gezeigt, dass Mütter, die stillen, ein geringeres Risiko für gewisse Erkrankungen haben. Und als wäre das noch nicht genug, sorgt die Muttermilchgabe ausserdem dafür, dass der Körper Oxytocin ausschüttet. Oxytocin, das auch als Kuschelhormon bekannt ist, senkt das Stresslevel, lindert Schmerzen und fördert die Mutter-Kind-Bindung. So hilft es Müttern, das Stillen als Pause im Alltag erleben zu können, in der sie zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen.
Soweit das Best-Case-Szenario. Doch was, wenn all das nicht so einfach ist? Zum Beispiel, wenn ein Frühchen auf die Welt kommt? Denn dann gelten viele Selbstverständlichkeiten plötzlich nicht mehr. Denn Frühgeborene bringen zum Beispiel häufig nicht die Kraft auf, um mit gutem Zug Milch zu saugen. Auch ist es nicht immer leicht, sie gut und sicher an die Brust zu halten. Was also tun – und können Frühchen-Mamas ihre Kinder trotzdem mit Muttermilch versorgen?
Jedes 16. Neugeborene
„Das funktioniert mit einigen Kniffen und Tricks meist ganz gut“, sagt Tatjana Dobberstein. Die Hebamme und Stillberaterin ist Expertin, wenn es um das Stillen von Frühchen geht. Sie hat schon unzähligen Müttern in der Schweiz geholfen und weiss, worauf es bei Babys ankommt, die Wochen und Monate vor ihrem Termin kommen: „Späte Frühgeborene haben gute Chancen, nach einer gewissen Zeit ganz normal an der Brust zu trinken – etwa, wenn sie im C-Griff oder im Dancer-Hold-Griff gehalten werden“, erklärt die Stillexpertin. „Zu früh geborene Babys müssen also keineswegs auf Muttermilch verzichten – denn hier hilft richtiges Abpumpen.“
Für Frühchen-Mamas heisst es also erst einmal Entwarnung – auch sie können ihren Kindern den eigenen Powerdrink verabreichen. Und das sind schliesslich einige: In der Schweiz waren im Jahr 2022 6,4 Prozent aller Geburten Frühgeburten. Damit kam circa jedes 16. Kind zu früh zur Welt – also im Zeitraum bis einschliesslich der 36. Woche. „Die allermeisten Frühgeburten davon sind späte Frühgeburten, bei denen das Kind zwischen der 32. und 36. Woche geboren wird", sagt Tatjana Dobberstein, die sich als Hebamme und Stillberaterin mit Medela für die Muttermilchversorgung für Frühgeborene einsetzt. Sehr frühe und extrem frühe Frühgeburten machen zusammen etwa ein Prozent aus. "Während späte Frühgeborene gute Chancen haben erfolgreich an der Brust gestillt zu werden, benötigen sehr kleine Frühgeborene ihre Energie für andere lebenswichtige Funktionen." ergänzt Tatjana.
Das A und O: Regelmässiges Abpumpen
„Sobald neben der Brust noch weitere Verabreichungsformen ins Spiel kommen, sollte die Brust durch Abpumpen zusätzlich stimuliert werden, um den langfristigen Bedarf des Babys decken zu können. Viel Haut-zu-Haut Kontakt und regelmässige Trinkversuche an der Brust können die zukünftige Stillbeziehung unterstützen. Bei sehr frühen Frühgeborenen kann eine Stillbeziehung jedoch oft erst Zuhause aufgebaut werden." Doch alle Frühchen Situationen mit frühgeborenen Babys verlangen den Müttern einiges ab – vielleicht noch etwas mehr Willenskraft, Disziplin und Hingabe als von jenen Mamas mit termingeborenen Kindern. Denn damit die Milchproduktion so richtig in Schwung kommt, muss man viel nachhelfen, wie Tatjana Dobberstein weiss: „Das fängt schon beim Kolostrum an, der wertvollen Vormilch, welche die Mutter unmittelbar nach der Geburt produziert. Sie ist unheimlich wichtig für die Immunisierung und fördert die Hirnentwicklung.“ Durch sorgfältiges Ausmassieren und Abpumpen könne man kleine Mengen gewinnen. „Zusätzliches Abpumpen", ergänzt Dobberstein, „ist für die effektive Stimulation und langfristige Milchbildung essentiell." „Das 8-12 malige Abpumpen innert 24 Stunden, entspricht in etwa der Nachfrage an Stillmahlzeiten bei einem termingeborenen Baby. Dies unterstützt den natürlichen Milchaufbau. Das ist wichtig zu wissen, damit man den Mut nicht verliert." „Wer am Anfang auch bei minimalen Mengen am Ball bleibt, kann irgendwann die langfristige Tageszielmenge von 750 bis 800 Millilitern erreichen." Schliesslich stimuliere jedes Abpumpen die Brust aufs Neue und sorge für mehr Milchproduktion. Tatjana Dobberstein rät: „Unbedingt auch einmal nachts abpumpen, mit einer maximalen 5-6 Stunden Pause. Denn nachts sind die Milchbildungshormone noch aktiver als tagsüber.“
Wie Liebeskummer
Das kann sehr anstrengend sein, zumal oft eine grosse mentale Belastung hinzukommt: „Viele können sich keine Vorstellung davon machen“, sagt Tatjana Dobberstein, „was die ersten Tage und Wochen für viele Frühchen-Mütter bedeuten.“ Denn im Gegensatz zu Mamas von Babys, die zum Termin kommen, ist für sie der Kontakt zu ihrem Kind häufig zunächst sehr begrenzt: „Das winzige Baby bleibt im Spital auf der Neonatologie-Station während die Mutter nach Hause darf – eine Trennung, die sich häufig wie Liebeskummer hoch zehn anfühlt.“
Weil die Situation sehr belastend sein kann (auch für den Partner), sollte man schnell Unterstützung aktivieren und das nähere Umfeld, also Verwandte und enge Freunde, in den Support miteinbeziehen: Anfangs etwa mit Zuhören oder Reden, oder später, sobald das Baby nach Hause darf, auch mit den praktischen Dingen des Alltags – wie Haushalt, Kochen oder Einkaufen. Gerade direkt nach der Frühgeburt, wenn der Arzt über alle Risiken informiere, wie beispielweise die langfristigen Prognosen für das Kind, haben viele Frauen grosse Ängste. Hier kann es auch helfen, Mütter zu sprechen, die das Ganze schon einmal durchgemacht haben. Dazu vermittlelt die Organisation „Frühchen Schweiz“ zum Beispiel Kontakte und auf ihrer Homepage kann man auch Fallgeschichten lesen.
Kuscheln ist wichtig
Und die Nähe zum Kind? „Viel Kuscheln ist unheimlich wichtig – nicht nur, um die Mutter-Kind-Bindung zu fördern“, erklärt Dobberstein, „sondern auch, um die eigene Milchproduktion anzuregen.“ So bietet sich etwa die Känguru-Methode, bei der Frühchen auf dem Mutterbauch liegen, an, „je länger, desto besser.“
Schon eine normale Geburt ist ein Kraftakt – die Geburt eines Frühchens, und das, was sie nach sich zieht, ist häufig noch viel herausfordernder. Glücklicherweise gibt es inzwischen viel Support und Hilfsangebote: Sei es über Organisationen wie „Frühchen Schweiz“, leistungsstarke Milchpumpen, eine gute Versorgung in den Spitälern vor Ort und letztlich auch über versierte Fachpersonen wie Tatjana Dobberstein.
MAMALICIOUS PODCAST
Erfahre mehr darüber, wie wichtig das Stillen insbesondere für Frühchen ist und wie es trotz erschwerten Rahmenbedingungen gelingen kann. Diese Podcast-Folge präsentieren wir in Zusammenarbeit mit der Stillkampagne 2024 und Medela. Mit der Expertin und Stillberaterin Tatjana Dobberstein sprechen wir über wichtige Fragen und Erkenntnisse rund um das Thema Stillen, Muttermilch und Frühchen.
Einladung zum Stillfrühstück!
An den Stillfrühstücken beantworten erfahrene Stillberaterinnen all eure Fragen rund ums Stillen. Geniesst das gesunde Frühstücksbuffet, unterhaltet euch mit anderen Müttern in gemütlicher Atmosphäre und freut euch auf tolle Geschenke. Auch werdende Mütter sind am Still-Zmorgä herzlich willkommen.
Der nächste Still-Zmorgä findet am Mittwoch, 22. Mai 2024 von 8:00 bis 10:30 Uhr im Haus Hiltl an der Sihlstrasse 28 in Zürich statt.
Falls ihr Fragen haben, dürft ihr euch gerne hier melden: info@stillkampagne.ch
Save the Date: Das Still-Zmorgä im Herbst findet am Mittwoch, 2. Oktober 2024 statt.